Zwei Wochen lang sind mein Freund und ich diesen Sommer unterwegs gewesen: Mit dem Fahrrad von Wien nach Belgrad. Immer an der Donau entlang: durch die Slowakei, Ungarn, Kroatien und Serbien. Durch die Länder, die Asylsuchende in die Gegenrichtung verzweifelt zu durchqueren versuchen auf ihrem Weg nach Deutschland.
Geplant war die Reise als reines Urlaubsvergnügen; aber die aktuellen Ereignisse haben uns eingeholt.
|
Wir starten am Sitz der Vereinten Nationen in Wien: Dem Symbol für Friedenssicherung und universelle Menschenrechte |
|
Vor ein paar Monaten erst habe ich dort, im UN-Gebäude, eine Ausstellung gesehen mit Plakaten der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Art. 13: "Everyone has the Right to Freedem of Movement." Art. 14: "Everyone has the Right to Seek and Enjoy in Other Countries Asylum from Prosecution." |
Über Bratislava geht es Richtung Ungarn.
|
Die Grenze ist hier nur durch ein kleines Schild gekennzeichnet. Keine Kontrollen, keine Zäune - ganz so, wie wir es vom Schengenraum gewöhnt sind. Leider wissen wir schon, dass die Grenze auf der anderen Seite, im Süd-Osten des Landes, ganz anders aussieht. |
In Budapest angekommen wollen wir uns selbst ein Bild machen vom Bahnhof Keleti, der Durchgangsstation für Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Westeuropa.
|
Zahlreiche Freiwillige heißen die Flüchtlinge hier willkommen, versorgen sie mit Essen und Kleidung, bieten Steckdosen und W-LAN an. Migration Aid, Greenpeace Ungarn und zahlreiche ad hoc gegründete Initiativen. Vor ein paar Tagen noch, erzählen uns die Freiwilligen, war die Situation chaotisch: Alle Zugverbindungen nach Österreich und Deutschland waren eingestellt. Tausende Flüchtlinge saßen hier fest. Es gab nur sechs Toiletten. Die Helfer waren überfordert.
|
|
An diesem Abend fahren die Züge wieder, und zumindest bis kurz vor die österreichische Grenze dürfen die Flüchtlinge mitfahren. Sie brauchen ein Ticket und eine Sitzplatzreservierung. Die müssen sie den Polizisten vorzeigen, bevor sie das Gleis betreten dürfen. Und kurz vor der Grenze müssen sie aussteigen und zu Fuß die letzten Meter bis nach Österreich gehen. Kleine Schikanen der ungarischen Behörden — aber immerhin lassen sie die Menschen durchreisen. | |
Die Hilfsbereitschaft der vielen Freiwilligen in Budapest macht mir Mut. Es scheint, als wäre Ungarn bereit, zumindest Durchgangsland für die Schutzsuchenden zu sein.
Doch ein paar Tage später, in Baja, einer wunderschönen Stadt im Süden des Landes, bietet sich ein anderes Bild.
|
Die ersten beiden Soldaten sehe ich an der Schlange im Eiscafé. Als wir dann unseren Campingplatz erreichen, stellt sich heraus: Der ist zur Hälfte von der Armee gemietet.
Wegen der "illegalen Einwanderer", erklärt uns der junge Mann an der Rezeption. "Nachts schlafen die Soldaten hier, tagsüber arbeiten sie an der Grenze."
Der Zaun wird zu diesem Zeitpunkt gerade errichtet. Das Gesetz, nachdem die Armee zum Grenzschutz eingesetzt werden darf, tritt zwei Tage, am 15. September, in Kraft. |
Wir sehen zunächst nichts von dem Zaun. Die Flüchtlinge versuchen ihr Glück von den serbischen Städten Subotica und Szeged aus. Unsere Route entlang der Donau verläuft weiter südlich.
Der offizielle Grenzübergang ist bei Hercegszantó. Wir versuchen zunächst, einfach am Fluss entlang über die Grüne Grenze zu radeln - und geraten promt in eine Straßensperre, die die ungarische Polizei gemeisam mit serbischen Kollegen in Militäruniform betreibt. "Hier ist Ende", rufen sie uns zu. "dreht um". Dann müssen wir unsere Pässe zeigen: Deutsche Touristen - alles in Ordnung.
Zwei Schäferhunde sind in Zwingern rechts uns links des Weges eingesperrt. Wahrscheinlich, um Alarm zu schlagen, falls hier jemand vorbeikommt. Vielleicht auch, um auf Menschen gehetzt zu werden, die im wahrsten Sinne des Wortes auf der Flucht sind.
Wir, die wir mit unseren deutschen Pässen in die andere Richtung unterwegs sind, behandelt man vorbildlich. Problemlos gelangen wir über die offizielle Grenze nach Serbien, wechseln dann einen Tag später über die Grenze nach Kroatien, und von dort aus wieder zurück. Es ist nervig, jedes Mal anhalten, absteigen und den Pass herauskramen zu müssen. Mehr bedeutet die Grenze für uns nicht.
Die kroatisch-serbische Grenze, eine Brücke über die Donau zwischen Ilok und Bačka Palanka, passieren wir innerhalb von fünf Minuten. Eine Woche später schließt Kroatien diese Grenze, wie auch alle anderen, für alle Autos mit serbischem Nummernschild.
Nachdem die Soldaten aus Baja den Stacheldrahtzaun an der Grenze zu Serbien fertig gestellt haben, und an der Grenze bereitstehen, um jeden zu verhaften, der eine der beiden neu definierten Staftaten begeht - illegal ins Land einreisen und den Grenzzaun beschädigen - versuchen die Flüchtligne ihr Glück über Flüchtlinge.
Das Problem ist: Laut Dublin-Verordnung der Europäischen Union ist Kroatien, genau wie Ungarn, eigentlich verpflichtet, alle Flüchtlinge auf seinem Hoheitsgebiet zu registrieren — womit es dann die alleinige Verantwortung für diese Menschen zugewiesen bekommt.
Wer trotzdem nach Deutschland weiterreist, wird zurück nach Kroatien geschickt, um dort Asyl zu beantragen. Deshalb will Kroatien am liebsten gar keine Menschen ins Land lassen.
Die Serben sind geschockt über die Grenzpolitik der Nachbarn. "Was haben wir falsch gemacht?", fragen sie uns? "Warum bestrafen die Kroaten uns, schränken unseren Reiseverkehr ein, lassen unser Obst und Gemüse an der Grenze verschimmeln?"
Die Antwort ist: Serben sind zu nett zu Flüchtlingen.
|
In Belgrad gibt es, wie in Ungarn, zahlreiche Freiwillige, die die Flüchtlinge empfangen, sie mit dem Überlebensnotwendigen versorgen und ihnen helfen, die Weiterreise anzutreten. Im Finansjiki-Park zwischen Zug- und Busbahnhof haben
viele Flüchtlinge Zelte aufgeschlagen, ruhen sich im Schatten unter den Bäumen aus oder waschen sich am öffentlichen
Brunnen. Am Nachmittag des Eid al-Adha, dem Opferfest, gibt es sogar eine spontane Feier mit Tanz und Gesang. Die Stimmung ist fröhlich: Wer es aus dem nahen Osten oder Nordafrika bis hier her geschafft hat, der hat Hoffnung, auch den Rest zu schaffen. | |
|
Auf diese Tafel schreiben Freiwillige in Englisch und Arabisch die aktuellsten Informationen: Welcher Grenzübergang ist noch offen? Was ist der beste Weg dorthin? |
Die Serben wissen, was es heißt, vor Krieg fliehen zu müssen. Und sie haben es nicht vergessen.
|
Gebäude, die bei den NATO-Luftangriffen 1999 zerstört wurden, stehen als Mahnmale in der Stadt. Während der Balkankriege und später im Kosovo-Krieg hat Serbien immer wieder Kriegsflüchtlinge aufgenommen. Wer aus dem Bürgerkrieg in Syrien geflohen ist stößt hier sogar auf mehr Verständnis als Menschen, die vor politischer Verfolgung fliehen. | |
Serbien kann und will aber nur Durchgangsland sein, nicht Ziel für die Flüchtlinge.
Einen Morgen sehen wir vor dem Bahnhof eine Gruppe Flüchtlinge, die mit einem Schlepper verhandelt. Der verspricht Platz für alle, und Wifi.
Belgrad ist das Ende unserer Fahrradtour. Von hier aus nehmen wir den Zug zurück nach Dortmund, über Budapest und Wien. Wir steigen also in einen der Züge, die den Flüchtlingen verwehrt bleibt - so dass sie auf illegale Schlepper angewiesen sind.
|
Das hier ist alles, was wir vorzeigen müssen, um zu den wenigen Priviligierten zu gehören. Vor der Grenze nach Ungarn stoppt der Zug für eine halbe Stunde und serbische Grenzbeamte durchsuchen die Toiletten, leuchten mit Taschenlampen unter die Wagen. Dann stoppt der Zug für weitere 40 Minuten, und ungarische Polizisten und Zollbeamte wiederholen die gesamte Prozedur. Diesmal wird der halbe Zug auseinander genommen, Plastikverkleidungen abgerissen, Deckenverkleidung angehoben. Dann öffnet sich für uns eine Lücke im Stacheldraht, und wir sind in Ungarn. In der Schengenzone. In der EU. |
Die Fahrt nach Wien dauert knapp 12 Stunden und kostet uns gut 50
Euro pro Person. Und das nur, weil wir das richtige Stück Papier
vorweisen können. Weil wir zufällig im "richtigen" Land geboren wurden.
Weil wir nicht auf der Flucht sind und keinen Schutz brauchen.
Menschen, die um ihr Leben fürchten, und die alles verloren haben, lassen aber nicht aufhalten.
|
Am Wiener Hauptbahnhof sitzen Männer, Frauen und kleine Kinder, mit schlammverschmierten Schuhen und aufgerissenen Hosen. Das Plakat des Heeresgeschichtlichen Museums, vor dem sich diese Kinder ausruhen, muss ihnen wie Hohn erscheinen: "Wars belong into museums". | |
Viele Flüchtlinge nehmen mit uns den Nachtzug von Wien nach Frankfurt am Main. Ein 18-Jähriger aus Aufghanistan erzählt uns, dass er von dort aus nach Paris weiter will, zu seiner Schwester. "Dann will ich studieren und Anwalt werden", erklärt er.